Tierleid II – von Schädlingen, Unkraut und Ungeziefer
Wie viel Macht haben Worte eigentlich? Und wann genau haben wir angefangen, mit ihnen Leben zu sortieren – in brauchbar und überflüssig? Unser Wortschatz – der entscheidet was Leben darf und was nicht?
Rehe? Fressen den Wald kahl.
Wildschweine? Verwüsten Felder.
Waschbären? Fremd, gefährlich, bitte abschieben.
Kartoffelkäfer? Ein Albtraum für die Landwirtschaft.
Borkenkäfer? Machen den Förster wahnsinnig.
Füchse, Marder, Hermeline? Kleinräuber mit schlechtem Ruf.
Löwenzahn? Unkraut.
Brennnesseln? Autsch, weg damit.
Spinnen, Fliegen, Käfer? Igitt – Ungeziefer!
So oder so ähnlich klingen die Urteile. Schnell, scharf, tödlich.
Worte sind nie neutral. Sie formen unsere Sicht auf die Welt – subtil, aber wirksam.
Wer „Unkraut“ sagt, denkt nicht an eine Pflanze mit ökologischem Wert, sondern an ein Problem, das beseitigt werden muss.
„Schädling“? Das ist kein Tier mehr, sondern eine Bedrohung.
Sprache trennt – in wertvoll und wertlos.
Und je öfter wir dieselben Worte hören und nutzen, desto „wahrer“ werden sie.
Ohne, dass wir je hinterfragt hätten, wem sie eigentlich nützen.
Was „uns“ stört, wird aussortiert. Was „uns“ nützt, darf bleiben – oder wird gezüchtet oder geduldet.
Und oft entscheiden wir nicht aus Wissen heraus, sondern aus Gewohnheit, Bequemlichkeit oder wirtschaftlichem Interesse, oder einfach aus unserem erlerntem Wortschatz.
Und so sortieren wir die Welt. In nützlich oder störend.
In hübsch oder eklig. In erwünscht oder überflüssig.
Was uns nicht passt, hat zu verschwinden – bestenfalls diskret, notfalls mit Gift.
Wir spielen Gott!
Dabei leben wir in diesem System, es ist unsere Lebensgrundlage.
Aber es ist bequem, die Natur in Feindbilder aufzuteilen (Und nicht nur die Natur).
Der Rehbock wird zum Problem, wenn er den „Wirtschaftswald“ betritt.
Der Käfer zur Plage, wenn er unser Monokultur-Konzept in Frage stellt.
Wo alles, was uns nicht direkt nutzt, als Feind gilt.
Und wo wir vergessen, dass jedes dieser Wesen Teil eines Gefüges ist, das ohne sie… vielleicht nicht mehr funktioniert.
Was also, wenn es kein „Unkraut“ gibt?
Wenn kein Tier „Ungeziefer“ ist?
Wenn wir lernen müssten, unsere Kategorien, unseren Wortschatz, zu überdenken – und damit auch unseren Platz in diesem komplexen, empfindlichen Netz des Lebens?
Wir glauben oft, Kontrolle sei gleichbedeutend mit Ordnung.
Doch was wir als Schädlinge, Unkraut oder Ungeziefer deklarieren, sagt weniger über diese Lebewesen aus als über unsere Perspektive.
Der Blick auf die Geschichte – und auf nüchterne Zahlen – zeigt:
Wer sich anmaßt, die Welt zu sortieren, zerstört sie oft dabei.
Der Mensch als Ordnungsinstanz – und Richter über Leben
Dass wir Tiere und Pflanzen nach Nützlichkeit sortieren, hat eine lange Tradition.
Ein drastisches Beispiel liefert die „Ausrottung der vier Plagen“ in China (1958), bei der Spatzen, Ratten, Mücken und Fliegen gezielt vernichtet wurden.
Der Spatz – ursprünglich auf der Liste, weil er Getreide pickte – wurde so gut wie ausgerottet.
Die Folge: eine Explosion der Insektenpopulationen, massive Ernteausfälle und Millionen Hungertote.
Der Eingriff in das Gleichgewicht hatte ein System zerstört, das der Mensch nie ganz verstanden hatte – aber meinte, kontrollieren zu müssen.
Die Welt gehört uns nicht alleine…
Vielleicht ist es Zeit, unsere Rolle zu überdenken.
Nicht als Herrscher über Leben und Tod. Sondern als Teil dieses Gefüges.
Es würde bedeuten, zu akzeptieren, dass wir nicht alles kontrollieren können – und dass das auch nicht nötig ist.
Es würde bedeuten, wieder Demut zu lernen gegenüber dem, was lebt – auch wenn es piekst, krabbelt oder Felder umgräbt.
Vielleicht ist das die eigentliche Herausforderung:
Die Welt nicht mehr zu sortieren.
Sondern sie zu verstehen.
Ihr braucht mich, ich Euch nicht!
– Mutter Erde –
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