Wo fängt man an und wo hört man auf?
Es begann mit der Begegnung mit einem Feldhasen. Sie ließ mich nicht mehr los. Ich wollte mehr wissen, verstehen, beobachten – ohne zu stören. Wie lebt so ein Tier? Wo bewegt es sich, wie schützt es sich? Und schnell war ich nicht mehr nur beim Hasen. Ich begann, mich auch für Vögel zu interessieren, lernte ihre Stimmen kennen, ihre Namen. Ich wollte sie fotografieren, lernen, in ihrer Nähe zu sein, ohne sie zu verscheuchen. Es kamen Rehe, Füchse und was unsere Fauna so hergibt.
Der Nationalpark-Effekt
Dabei fiel mir auf, wie scheu Tiere geworden sind. Manche Arten sind es von Natur aus – andere nicht. In Gegenden, in denen wenig bis gar nicht gejagt wird, verhalten sich die Tiere ganz anders. Sie bleiben länger stehen, sie beobachten uns genauso wie wir sie. Sie wägen ab. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie stark unser Einfluss auf das Verhalten von Wildtieren ist – und wie viel verloren gegangen ist. Ich las, dass wir rund 80 Prozent der Biomasse an Wildtieren bereits verloren haben. Die Biomasse der Schweine (Nutztiere) ist 3x so hoch wie die unserer Wildtiere im Gesamten. Und dass es sogar Zeiten gab, in denen Menschen Tiere gezielt ausrotten wollten – mit katastrophalen Folgen, wie die Ausrottung der vier Plagen in China 1958 eindrücklich zeigt. Der Begriff Artensterben kommt auf, und Wissenschaftler sagen, dass wir wahrscheinlich bereits Tiere ausgerottet haben ohne sie überhaupt entdeckt zu haben.
Man erkennt: Tier- und Umweltschutz liegt bei uns fast ausschließlich in Vereinshand. Bund und Länder wirken oft desinteressiert, große Organisationen wie der WWF Deutschland kümmern sich lieber um exotische Arten, wie dem roten Panda, als um das, was direkt vor unserer Haustür stirbt. Die Lebensmittelindustrie? Kümmern sich nicht um Tierwohl oder Umweltschutz – Hauptsache billig. Der Bauer am unteren Ende der Kette hat kaum eine Wahl: Er muss irgendwie überleben. Und um das zu schaffen, muss er mehr aus seinem Acker holen, koste es, was es wolle. Was der Pharmaindustrie in die Karten spielt, den daher kommen die Pestizide, Fungizide und Herbizide, die zum Teil für das Artensterben zuständig sind.
Manchmal wird man gezungen die Augen zu öffnen
So bin ich vom Feldhasen zu den Lebensmitteln gekommen. Eine Doku der ZDF-Reihe „Besseresser“ hat mich wachgerüttelt. Ich war entsetzt, als ich sah, was sich alles in unseren Lebensmitteln befindet: Pülverchen, Zusatzstoffe, künstliche Aromen – und kaum noch natürliche Zutaten. Da fing ich an, selbst zu kochen. Versuchte mich an Brot, an Hefezopf. Gekocht habe ich schon immer gern. Mein Lieblingsbeispiel: Milchreis. Ich liebe ihn. Und selbstgemachter Milchreis ist einfach unschlagbar – schon allein, weil die Zutatenliste im Namen steckt.
Ich begann, genauer hinzuschauen. Woher kommen meine Tomaten, meine Gurken, meine Trauben? Heidelbeeren aus Marokko? Kirschen aus der Türkei? Spanien, das schon sein Grundwasser verliert, nur damit wir das ganze Jahr über frisches Gemüse im Discounter kaufen können? Nein. Ich greife heute lieber zu regionalen und saisonalen Produkten. Erdbeeren gibt’s im Sommer – und da schmecken sie auch am besten.
So kam ich von den Lebensmitteln zu den Nutztieren. Der Film Dominion zeigt die volle Grausamkeit auf!! Ich bin kein Veganer, aber ich habe aufgehört, Menschen zu belächeln, die es sind. Im Gegenteil – ich habe großen Respekt vor dieser Konsequenz. Wenn man einmal verstanden hat, was alles am Konsum tierischer Produkte hängt, kann man es nicht mehr ausblenden. Milch? Gibt es nicht einfach so – eine Kuh muss erst ein Kalb bekommen, das man ihr sofort wegnimmt. Eier? Wir kennen die Käfige, ignorieren sie aber. Käse, Butter, Joghurt – überall steckt Tier drin. Und am Ende natürlich Fleisch – das vom Leben zum Produkt geworden ist.
Die Haltung, die Schlachtung – Hauptsache billig. Die Industrie produziert, wir kaufen. Weil wir gelernt haben, dass alles billig sein muss. Viele Menschen leben am Existenzminimum, und müssen auf jeden Cent achten. Für andere ist „Geiz ist geil“ das Credo. Andere sind zu sehr in der Matrix des Konsums gefangen, um zu hinterfragen, was sie da eigentlich essen. Wie das Tier gelebt hat. Wie es gestorben ist. Und die benutzten Bildern auf den Verpackungen suggerieren die heile Welt, wie die Werbung.
Ich bin oft fassungslos, wenn ich durch die Supermärkte gehe. Maggi-Tüten, Ravioli-Dosen, Knorr-Fix – alles künstlich, alles voller Zusätze. Selbst beim Pfeffer muss man aufpassen: Gemahlener Pfeffer ist oft ein Abfallprodukt. Wer echten Geschmack will, kauft Körner und mahlt selbst. Und Salz? Sogar darin ist nachweislich Mikroplastik. In Butter finden sich Mineralöle. Vieles steht nicht mal auf der Verpackung. Und das, was wir wissen, ist schon schlimm genug.
Vegan?
Vegan? Wäre schön. Aber wenn ich die Zutatenliste vieler veganer Ersatzprodukte anschaue, bekomme ich Zweifel. Ist das wirklich besser? Vielleicht halte ich es einfach noch ein paar Jahre so aus – ich bin 53, ich hab’s bis hierher geschafft. Aber ich will dieser Industrie eigentlich nichts mehr schenken.
Lebensmittelverschwendung ist ein weiteres Kapitel: Tonnenweise wird weggeworfen. Beim Bauern, weil die Gurke krumm ist. Beim Transport, weil die Kühlkette nicht eingehalten wird. Im Supermarkt, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Und bei uns selbst, weil wir mehr kaufen als wir essen können. Wer kennt heute noch das Gefühl von echtem Hunger?
Wer hat das sagen
Und währenddessen? Regiert die Industrie. Nicht die Politik. Die größten Lobbys diktieren, was erlaubt ist, welche Grenzwerte gelten und wie Zusatzstoffe heißen dürfen. Branchen ohne Lobby? Schauen in die Röhre. Die Transportbranche zum Beispiel – LKW-Maut ja, PKW-Maut nicht. Warum? Weil die Autoindustrie wohl etwas lauter schreit als die Transportbranche.
Viele Menschen sind unzufrieden. Und sie haben recht. Sie spüren, dass etwas falsch läuft – ohne es genau benennen zu können. Sie sind hineingewachsen in ein System, das ihnen vorgibt, was richtig ist. So war es auch bei mir. Ich habe früher nie hinterfragt. Aber irgendwann beginnt man, Dinge anders zu sehen.
Vor ein paar Jahren habe ich auszumisten. Zwei Wäschekörbe voller Küchenutensilien, doppelte Dinge, die ich nicht mehr brauchte. Zehn schwarze Hoodies, zwanzig Jeans, genug Bettwäsche für ein Leben. Ich war schockiert. Kein Wunder, dass ich keinen Platz mehr hatte. Und dann war ich mittendrin: in der Konsumkritik, in der Erkenntnis, dass wir alle viel zu viel besitzen, viel zu viel kaufen, viel zu viel wegwerfen.
Werbung
Werbung spielt dabei eine große Rolle. Werbung ist Psychologie. Sie arbeitet mit Angst.Bestes Beispiel immer Hohes C aus den 80er Jahren, wenn du das Produkt nicht kaufst, bist du keine gute Mutter. Du brauchst unbedingt diese Creme, sonst bist Du keine attraktive Frau, kein erfolgreicher Mensch. Du brauchst dieses Shampoo, diese, dieses Auto – sonst gehörst du nicht dazu.
Schneller, höher, weiter. Alles muss wachsen. Aber wie lange noch? 1950 waren wir 2,5 Milliarden Menschen auf der Welt. 1975 schon 4 Milliarden. Heute sind es über 8 Milliarden.
Wo fängt man an – und wo hört man auf?
Ich weiß es nicht. Und während ich schreibe, kreisen die Gedanken weiter. Und ich denke: Vielleicht geht es gar nicht darum, alles zu lösen. Vielleicht geht es darum, hinzusehen. Ehrlich zu sein. Und irgendwo anzufangen. Anzufangen ein Vorbild zu sein und es vorzuleben wie es anders geht.
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